Traktat über die Geige
Die Geige oder Violine wird von einigen Gelehrten wegen der vier deutlich erkennbaren Wirbel an ihrem
Halse zu den Wirbeltieren gezählt, jedenfalls aber im Hinblick auf die regelmäßig an ihr vorkommende
Schnecke und auf den Frosch des Geigenbogens dem Tierreich zugerechnet,
wozu auch die eigentümlichen Töne verleiten können, die ihr vielfach entlockt werden.
Trotz alledem sind wohl diejenigen im Recht, die sie als musikalisches Instrument ansehen.
Die Geige ist fast so verbreitet wie das mit Recht so beliebte Klavier.
Während dies aber eins der schwersten Instrumente ist, kann die Violine bequem mit einer
Hand gehoben werden.
Die Geigen sehen alle ziemlich gleich aus; um sie voneinander zu unterscheiden,
gibt man ihnen allerlei wohlklingende Namen wie Amati, Stradivari usw.
Die feineren Sorten sind, wie bei den Stiefeln, am Lack zu erkennen.
Man unterscheidet auch echte und unechte Geigen; die echten sind häufig unecht, die unechten aber
immer echt.
Die Geige ist mit vier Saiten bespannt und widerlegt damit den Satz, daß jedes Ding zwei Seiten hat.
Die Saiten werden aus Därmen hergestellt; die besten kommen aus Darmstadt. Die vierte Saite heißt
Quinte, Vom lateinischen Quintus, der Fünfte.
Diese ist am stärksten gespannt und platzt deshalb am häufigsten, was namentlich im Konzert während
eines zarten Adagios nie seine Wirkung verfehlt. Wenn man gerissene Saiten aus Sparsamkeit wieder
zusammenknüpft, so empfiehlt es sich nicht, die Knoten gerade über der Griffbrett anzubringen.
Etwa in der Mitte der Geige erhebt sich der sogenannte Steg; rechts und links von ihm befinden sich
die F- Löcher, deren Zweck schwer einzusehen ist, denn größere Gegenstände lassen sich kaum durch sie
in das Innere der Geige befördern. Es ist aber auch nicht zu empfehlen, etwa Geldstücke, Knöpfe, Haar-
locken oder dergleichen hineinzuwerfen, weil man sie schwer wieder herausbekommt und sie auch beim
Spielen den Ton des Instrumentes nicht wesentlich verbessern. Am besten verzichtet man auf die
Ausnutzung des Innenraumes ganz.
Eine der schwierigsten Aufgaben der Geigentechnik ist es, ein Brotkügelchen so durch das eine F-Loch zu
pusten, daß es zum anderen wieder hinausfliegt. Dies soll selbst Paganini nur ganz selten gelungen sein.
Wie bereits angedeutet, kann die Geige auch zur Erzeugung musikalischer Töne benutzt werden.
Zu diesem Zwecke werden die Saiten mit Pferdehaaren gestrichen, die an dem sogenannten
Geigenbogen befestigt sind. Man reibt sie vorher mit einem Stück
Kolophonium ein, das man sich von einem anderen Geiger borgt. Hat man seinen Bogen vergessen
oder versetzt, so kann man die Saiten auch mit dem Finger zupfen, wodurch das sogenannte Pizzikato
entsteht. Sind Kranke in der Nähe, so dämpft man den Ton der Geige durch Aufsetzen der Sordine ,
die man zu diesem Zwecke aus der rechten Westentasche nimmt.
Man hat schon seit längerer Zeit bemerkt, daß man auch andere Töne als die der leeren Saiten
hervorbringen kann, wenn man diese mit den Fingern der linken Hand an geeigneten Punkten
auf das Griffbrett drückt.
Davon wird ziemlich häufig Gebrauch gemacht, und der angehende Geiger tut gut,
sich jene Punkte zu merken.
Allzu ängstlich braucht er dabei nicht zu sein, denn in der Umgegend liegen auch überall Töne,
und diese sind namentlich für das sehr verbreitete, sogenannte un reine Spiel von größter Wichtigkeit.
Ist man zu schwach oder nicht dazu aufgelegt, die Saite ganz herunterzudrücken,
so entstehen die flötenartigen Flageolett-Töne; man unterscheidet natürliche,
künstliche und unfreiwillige Flageolett-Töne. Das Schwierigste aber bleibt es immer,
die leeren Saiten anzustreichen
und dabei mit der linken Hand an den Wirbeln herumzudrehen. Darin üben sich die größten
Künstler unausgesetzt. Sie versuchen es vor jedem Stüd von neuem, sie benutzen
während des Spiels jeden freien Augenblick dazu. Was sie an dieser Aufgabe so reizt, ist schwer
zu sagen; vermutlich ist es eben nur die Schwierigkeit der Sache, denn der musikalische Genuß,
den diese Übung gewährt, muß als sehr mäßig bezeichnet werden.
Was die Haltung des Geigers anbetrifft, so drückt er sein Instrument beim Spiel unter das Kinn, nimmt es
aber unter den rechten Arm, wenn er pausiert oder wenn er sich photographieren läßt.
Dem Pianisten gegenüber ist der Violinspieler dadurch im Nachteil, daß er beim Ankauf von Noten
immer die dicke Klavierstimme mit bezahlen muß.
Mit Rücksicht auf weniger bemittelte Geiger haben daher
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